Wer hat Angst vorm bösen Markt?

„Im Märchen von der sozialen Marktwirtschaft lauert immer irgendwo der böse Wolf des Kapitalmarkts“, denkt Wolf Willarth und freut sich.

Willarth ist die Hauptfigur in dem neu erschienenen Roman von Georg Schattney, ehemaliger Mitarbeiter der Deutschen Börse und inzwischen Berater und Unternehmensgründer. Schattney spinnt aus den Finanzkrisen der letzten beiden Jahrzehnte ein vielfarbiges Garn aus Thesenroman, Konspirationstheorie und Fantasy-Thriller, untermalt von den apokalyptischen Klängen einer Kult-Combo aus den 60ern.

„This is the end“ zählt zu den bekannteren Refrains, mit denen sich der früh verstorbene und deshalb ewig jung gebliebene Jim Morrison, Frontman und Texter der Doors, ins kollektive Gedächtnis der westlichen Popkultur gesungen hat. Ein geheimnisvolles Band knüpft ihn an den Wertpapierhändler Wolf Willarth, Kind der 60er Jahre, Hedgefonds-Spekulant, Neuer-Markt-Profiteur und -Bankrotteur. Als Mitglied einer Gruppe verdeckter Ermittler, in der sich nach dem Anschlag auf das World Trade Center das „Omega“-Händler- und Analystenteam eines pleite gegangenen Hedgefonds der 90er Jahre wieder zusammenfindet, führt ihn sein Weg von New York über Frankfurt, Paris, Berlin, London und Washington nach Buenos Aires.

Finanzgenies mit zerrütteten Privatleben

Zugleich scheint sich bei dieser Reise ins Herz der Finsternis eine Prophezeiung zu erfüllen, die ihm Jim Morrison höchstpersönlich in Form von Knittelversen hinterlassen hat. In der Hauptstadt des Tangos und der Währungskrisen gerät Willarth immer tiefer in ein Schlamassel, an dem Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds, Lokalpolitiker und Globalisierungskritiker beteiligt sind. Wie es sich für einen Thriller gehört, gipfelt die Handlung in einem großen Showdown in der Innenstadt der südamerikanischen Metropole. Das „Omega“-Team, bestehend neben Willarth aus einem schwermütigen Usbeken, einer ebenso temperamentvollen wie ambitionierten Russin und einer undurchsichtigen Koreanerin, allesamt Finanzgenies mit zerrütteten Privatleben, hält bis zum Schluss durch und bereitet im Epilog des Romans den nächsten Coup vor.

Schattney schreibt eine lebendige, rhythmische Prosa, hat keine Angst vor großen Worten und lässt seine Protagonisten Sentenzen austauschen, die vom geschliffenen Bonmot bis zur derben Parole reichen. Die Dialoge sprühen dadurch zwar vor Aphorismen jeder Couleur, erhalten aber zugleich etwas thesenhaftes, das auch auf die Sprecherinnen und Sprecher abfärbt. Zugleich gelingen Schattney aber frische atmosphärische Beschreibungen, die den Spannungsbogen seines oft waghalsigen Plots lyrisch und zugleich präzise untermalen.

Insgesamt komponiert Schattney die Vielfalt der Stilebenen, die ihm zu Gebote stehen, so geschickt, dass daraus ein Klangteppich entsteht, der sich ein bisschen so anhört, wie sein Held und Antiheld Willarth sich die Märkte erschließt: „Manchmal spielten die Märkte Mozart, luftig-leicht und filigran, und manchmal Beethoven, dunkel-schwer und schicksalhaft. Die Märkte hatten ihre Heavy-Metal-Momente und dann wieder Rock-, Reggae- oder Techno-Phasen. Sie spielten jede nur denkbare Melodie für mich: mathematisch-kühle Fugen von Johann Sebastian Bach oder synkopisch­sprunghafte Improvisationen von Charlie ‚Bird‘ Parker.“ So entsteht eine spannungsreiche Geschichte, in der sich Fakten und Fiktionen, graue Theorie und bunte Phantastik die Hand reichen. Auch Iceberg Orders und ein Samurai-Schwert kommen darin vor.

Rezension von Achim Brosch im Mitarbeitermagazin der Deutschen Börse AG, XO-Online, am 1. Juli 2015